In Karlsruhe, der Heimatstadt von Jan Zöller, gibt es über 300 Brunnen. Die barocke, ehemalige Residenzstadt hat sogar ein Brunnenmuseum und die Europäische Brunnengesellschaft sitzt hier. Nicht weit vom Stadtzentrum steht der Hygieia Brunnen von 1905, seine Schalen sind aus Bronze und von Wetter und Smog patiniert. Insgesamt ist der Brunnen renovierungsbedürftig und sieht ein bisschen traurig aus, wie er vor dem alten Vierordtbad steht. Jan Zöller wohnte Zeit seines Studiums in einer angrenzenden Straße und sah die Hygieia täglich beim Vorbeigehen, ja selbst von seinem Balkon aus. Zöller hat im ersten Jahr nach seinem Akademieabschluss in Karlsruhe viele Brunnen gemalt, auch für seine erste Einzelausstellung mit dem Titel „Possibly there’s a possibility that everything is possible“ bei Meyer Riegger und Robert Grunenberg in Berlin ist der Brunnen ein Schlüsselmotiv.

Der Brunnen taucht in Zöllers Bildern, Videos und bildhauerischen Werken in einer abstrahierten Weise auf, eine Urform eines Schalenbrunnens, der kulturgeschichtlich eine zentrale wirtschaftliche, soziale und Rolle im gemeinschaftlichen Leben in Städten spielte. Der Brunnen ist auch ein Ort in seinen Bildern, der zentrale Sujets zusammenführt: Häuserarchitektur, abstrakte menschliche Figuren, Vögel, Feuer. Aus diesen Elementen entwickelt der Künstler Kulissen, Szenen mit Akteuren, in denen Beziehungen zwischen Menschen und Abhängigkeiten zwischen Systemen skizziert werden – Abhängigkeiten von Gefühlen, sozialem Zusammensein, aber auch ökonomische Kreisläufe. Man kommt nicht drum rum an Rilkes „Römische Fontäne“ zu denken, ein kurzes Gedicht, in dem der Wasserkreislauf des Brunnens, der von einer Schale in die nächste fließt, um dann wieder von oben das Herunterplätschern zu Beginnen, zum Sinnbild für die Beziehung aus Geben und Nehmen wird.
In den Bildern der Ausstellung, aber auch den installativen, performativen und bildhauerischen Arbeiten von Jan Zöller drehen sich die Kreisläufe: es zirkulieren Wasser, Tränen, Urin, Blut und Wein, es wird geraucht, Tabak ein- und ausgedampft, menschliche und vogelhafte Figuren klettern aufeinander, lieben, bekämpfen und benutzen sich. Tag und Nacht, Mond und Sonne, Feuer und Wasser, Bewegung und Stillstand wechseln sich ab, bedingen, zerstören und erschaffen sich wieder neu.
Im Triptychon „Magic Fountain“ werfen Gliedermenschen – geschlechterlose Figuren, die nur aus Beinen, Füßen und Armen bestehen – Münzen in einen opulenten Brunnen, sinnieren bei Nacht über das Leben und warten auf das Glücksversprechen der Münzen, um diese bei Tagesanbruch wieder aus dem Brunnen zu entnehmen.

Auf anderen Bildern wie „Sculpture running away from the Opening“ sieht man gebeinte Brunnenfiguren, die panisch und im buchstäblichen Sinne kopflos vom linken zum rechten Bildrand eilen, dabei schwappt Rotwein aus den Gläsern vom Opening. Humorvoll lässt Zöller die Skulptur aus ihrer Rolle ausbrechen – ist die Ausstellungseröffnung, die Kunstwelt so grausig, zum wegrennen? Unbeirrbar wiederholt und variiert der Künstler einzelne Motive in seinem Werk, dabei stellt er diese auch gerne auf den Kopf und führt die gängigen Vorstellungen zu deren Bedeutung und Systematik ad absurdum. So schieben sich vor die glühenden Sonnengestirne in seinen kulissenhaften Landschaften immer wieder Halbmonde vor das kegelartige Scheinwerferlicht, maskenhafte Vögelköpfe rauchen gemeinsam an einer Zigarette, die sich baumartig verästelt und der Tabakdampf steigt geisterhaft in einem wolkigen S-Schwung in den Himmel. Dabei kombiniert Zöller emblematische Grafik mit leuchtenden Farbfeldern und scharf-konturierten Figuren und webt gleichzeitig expressive, atmosphärisch ausufernde Formen und Markierungen in seine Welten ein. Es staffeln sich Bildebenen, überlagern sich Flächen, Formen und Figuren, es tauchen Bilder in Bildern auf, die auf sich selbst verweisen. So entwickelt Jan Zöller eine intelligente Malerei, ohne rhetorische Figuren zu illustrieren, sondern sie entstehen aus dem Interesse an den ambivalenten Zusammenhängen aller Dinge in dieser Welt und sind so notwendiger Teil seiner malerischen Dramaturgie.

Die Orte und Szenerien in Zöllers Bildern haben ihren Ursprung im Alltäglichen. Seine Vögel am Brunnen, die gemeinsam Zeit teilen, seine laufenden Gliedermenschen in Eile, seine einsamen Hütten im Wald sind Momente, in denen es um Freiheit, Intimität und Kontemplation geht. Gleichzeitig sind es Situationen, in denen Zerstreuung erfahren wird, sind es Systeme, die Abhängigkeiten markieren oder nicht mehr funktionieren. Ähnlich ergeht es dem Hygieia Brunnen in Karlsruhe, steht er doch für Wohlstand und Jugend mit seinen Figuren wie Hygieia, Göttin der Gesundheit und den vielen Nixen und Jünglingen am Beckenrand. Doch fährt man heute wie die meisten dort mit dem Fahrrad am Brunnenplatz vorbei, wendet man den Kopf ab oder nimmt das Becken gar nicht mehr wahr, in dem seit Jahren kein Wasser mehr fließt und meist eine Gruppe von Junkies anzutreffen ist.

Jan Zöller spielt mit den Fehlern im System, macht sie zu den Themen, Akteuren und Schauplätzen seiner Malerei. Die Kreisläufe sind auch dysfunktional, die Figuren gebrochen oder sogar verletzt, Häuser und ganze Städte brennen, die Brunnen werden zu Menschen und sie lassen Urin und kein Wasser. Auch die Malerei als Ausdrucksform selbst hat bei Zöller mitunter etwas Offenes, zwischen all dem Repertoire aus Motiven und Figuren gibt es auch Leere. Was die Malerei sinnbildlich oder gar nicht ausdrücken kann, wird von Zöller in der Ausstellung durch den Einsatz von Performance, Video, Installation und Skulptur erweitert. So verlässt der Künstler in der Ausstellung die Leinwand, gleichwohl er sich seiner bekannten Motive bedient, diese aber in anderen Medien im Ausstellungsraum erfahrbar werden lässt: die Beine, die Krähen, das Holzhaus. Sie alle bilden in Form von Video, Skulptur oder Performance eine neue Infrastruktur im realen Raum, die sinnbildlich zur nächsten gebrochenen Schale wird, von der dann dem Brunnenkreislauf folgend Teile in die Welt der Malerei zurück fließen werden.

„In Zeiten einer auf Erfolg getrimmten Kulturproduktion erzählen Jan Zöllers collagierte Bildarchitekturen vom Nicht-Funktionieren, von Scheitern, Einsamkeit, Komik - und dem Versuch von authentischer sozialer Nähe. Zöllers Gemälde sind voller Anspielungen auf das Scheitern der Utopien der Moderne und der deutschen Nachkriegsmalerei, auf das Kollabieren des Turbo-Kapitalismus. Doch so wie die anarchischen Vögel auf seinen Bildern Brunnen oder Badezimmer besetzten und für ihre Gemeinschaft zweckentfremden, schafft auch Zöller in seiner Malerei aus zerbrochenen Systemen (zu denen der aktuelle Kunstbetrieb gehört) den Stoff für neue Utopien.“ Oliver Koerner von Gustorf, 2019